Freitag, 26. November 2010

Ostalgie: Von Stammbuchbildchen, Poesiealben und nem SED-Schwein


Man kann es kaum glauben, aber in der DDR der 50er und 60er Jahre waren die sogenannten Stammbuchbilder (auch Poesiebilder genannt) bei Schülern sehr beliebt und dies, obwohl die Motive darauf wenig mit Sozialismus zutun hatten, sondern eher dem Kitsch der 1900er Jahrhundertwende zuzurechnen waren. Ja und sie wurden tatsächlich in der DDR hergestellt und in den Handel gebracht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß viele Schüler in meiner Klasse ein Poesiealbum kauften, wo man sich dann gegenseitig verewigte, dies mit einem Stammbuchbild. Das war 1963, in der 5. Klasse, im Alter von 11 Jahren. Die bunten Glanzbildchen kauften wir Dessau-Ziebigker Kinder in dem kleinen Papierwarengeschäft Kümmel in der Schulstraße.

Ich habe mal ein paar Seiten meines alten Poesiealbums eingescannt. Zu den Bildchen gehörte immer auch ein Spruch, der meistens aus der trivialen Ecke stammte, selten gab es mal einen Spruch aus der Weltliteratur. Typisch auch, daß ärmere Kinder kein Poesiealbum besaßen und deren Einträge waren entweder schmucklos (bezeichnend der Spruch meines Schulkameraden Walter Heese), siehe durch anklicken zu vergrößernde Scans, oder sie malten etwas hinein, denn für Stammbuchbilder hatten diese Kinder kein Geld. Es war nicht weit her mit der angeblichen Chancengleichheit im SED-Staat. Interessant im Nachhinein, daß ich kaum Einträge von Mitschülern habe, die schon als Kinder Funktionärsposten bei der Pionierorganisation innehatten. Bei denen waren diese Poesiealben eher verpönt. Auf diese Posten schon im Kindesalter wurden sie durch ihre Eltern gehievt. Ich erinnere mich noch genau daran wie in meiner Klasse der erste „Gruppenrat“ gewählt wurde. Die Eltern der Kandidaten waren allesamt als einzige Eltern bei der „Wahl“ anwesend und es stand vorher fest wer gewählt werden mußte, dies durch einmütiges Handheben. Merkwürdigerweise waren die Eltern dieser Kinder auch alle im Elternbeirat und diese Typen hatten sich vorgenommen, daß ihre Kinder mal eine gesellschaftliche „sozialistische“ Karriere machen sollten. Wie ich hinterher erfuhr war u.a. der Vater des einen Schülers der in den Gruppenrat kam bei der Hitlerwehrmacht Offizier und Mitglied der NSDAP gewesen. Nun, was militärisches Gehabe und Untertanengeist anging, gab es ja kaum einen Unterschied zu der Pionierorganisation in der DDR und zur Hitlerjugend, die Ähnlichkeiten waren frappierend.

Die Weichen ob jemand in der rotfaschistischen DDR Karriere machen durfte oder nicht, die wurden tatsächlich schon im Kindesalter gestellt. Wenn ich mir die Lebensläufe derjenigen ansehe, die damals auf diese Kinderfunktionärsposten geschoben wurden, dann setzte sich die Karriere tatsächlich kontinuierlich fort: FDJ-Funktionen, Funktionen beim FDGB und anderen Massenorganisationen und schon mit 18 Jahren Eintritt in die SED. Dies alles öffnete dann ungeahnte berufliche Möglichkeiten, wie Studium von Fachrichtungen an die kaum jemand sonst heran kam und später gute Arbeitsstellen in leitender Position. Anständige Schüler, die diesen widerlichen rotfaschistischen Rummel nicht mitmachten und derartige Funktionärsposten nicht anstrebten, auch nicht in die SED eintraten, auch nicht bei der Stasi mitmachten, die hatten es verdammt schwer in der Arbeitswelt. Sie mußten überdurchschnittlich gut sein um voran zu kommen. Daß nun die Nomenklatura der DDR, die Cliquen an der Macht, all diese Seilschaften der DDR-Zeit, die Wende gut überstanden haben, dies ist allgemein bekannt. Aber wie heißt es so schön: Fett schwimmt immer oben, siehe dazu mein bekanntes „schönes“ Flugblatt vom September 1999 (Atelier für aktive Kunst, Barry Noa, alle Rechte vorbehalten).

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