Mittwoch, 12. Juni 2013

Holunder und deutsche "Solidarität"



Eigentlich gehört er in jeden Garten, der „Hollerbusch“, bei uns in Holunder genannt. Er ist doch ein toller Baum, denn er hat so viel Gutes für Mensch und Tier (Vögel brauchen die Beeren!) parat , wie selten ein Baum in Deutschland und außerdem bedarf er keinerlei Pflege, denn er blieb bis in unsere Zeit hinein ein Wildling. Auch wächst er in nur wenigen Jahren von einer kleinen Pflanze zu einem gar stattlichen Baum. Ich habe in meinem Garten gleich zwei dieser Bäume, siehe einen davon auf obigem Foto, nebst einer Blütendolde.

Früher hatten meine Großeltern die Beeren noch gepflückt, aber natürlich auch immer noch Beeren für die Vögel über gelassen. Aus den Beeren machten die Großeltern Saft, den sie im Winter besonders bei Fieber und Erkältungen tranken. Dies mache ich nun nicht mehr, ist mir zu umständlich, aber immer zur Blütezeit mache ich ein paar Dolden ab und backe diese in Eierkuchenteich aus, dies gehört einfach zur Holunderblütenzeit dazu. Allein wenn man die Dolden pflückt, umfängt einen ein unnachahmlich wunderbarer Duft, der es mit jedem teuren Parfüm aufnehmen kann - Holunderblüten riechen einfach großartig! In früheren Zeiten, als Sekt nur für die ganz Reichen erschwinglich war, machte man aus Holunderblüten auch Sekt, das Rezept dazu kann man im Internet nachlesen, aber ich selbst habe diesen Sekt noch nie gemacht, kann also dazu nichts beitragen.

Holunder erinnert mich auch immer an meine Oma Martha aus dem Westen und zwar aus folgendem Grund:

Oma Martha, Opa Clemens und mein Vater stammten aus dem westpreußisch-pommerschen Schneidemühl und sie wurden wie so viele andere 1945 von dort für immer vertrieben. Oma Martha und Opa Clemens landeten als Flüchtlinge nach einer Fluchtodyssee in einem niedersächsischen Dorf. Eine deutsche Volksgemeinschaft und Solidarität gab es natürlich auch nach 1945 nicht, die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten wurden in den deutsch gebliebenen Gebieten nicht mit offenen Armen aufgenommen, sondern das Gegenteil war der Fall. Wenn nicht die allierten Behörden Zwangsmaßnahmen ergriffen hätten, dann wären noch mehr Flüchtlinge verreckt, denn freiwillig nahm so gut wie kein Bauer Flüchtlinge auf, auch wenn er noch so viel Wohnraum hatte. Jedenfalls bekamen meine Großeltern eine Kammer bei einem Bauern. 6 Flüchtlinge hatte der aufzunehmen. Die 4 anderen Flüchtlinge waren noch jung und kräftig und er spannte sie für die Landwirtschaft ein, denn bevor die Flüchtlinge kamen hatte er auf seinem Hof mehrere Zwangsarbeiter gehabt, die er tüchtig ausgebeutet hatte - viel Arbeit bei wenig Essen. Dies gedachte er nun mit den Flüchtlingen fort zu führen und er trieb die Einquartierten mächtig an, beschimpfte sie gar als Ostler, dies obwohl der deutsche Osten genau so deutsch war wie der Westen oder Mitteldeutschland. Solidarität mit den eigenen Landsleuten war Fehlanzeige! Obwohl mein Großvater gesundheitlich angeschlagen war, mußte er schwer auf dem Feld arbeiten und meine Großmutter mußte in der Küche die Magd spielen, dabei wurde sie schwer von der Bäuerin überwacht, daß sie sich ja nicht etwas zu essen in den Mund steckte. Meine Großmutter kam einmal per Zufall in die Vorratskammer, da konnte sie nur staunen, die war voll bis zum Rand - Schinken, Würste, Eingemachtes, Hülsenfrüchte in Säcken, und, und, und. Für die schwere Arbeit auf dem Hof bekamen die Flüchtlinge nur wenig, ein paar Kartoffeln und ab und an mal ein Ei und einen Liter Milch, aber sie mußten diese Arbeit machen, da es sonst keine Verdienstmöglichkeiten dort gab und sie sonst verhungert wären, zumindestens 1945 und 1946 war es so. Der Bauer selbst lebte wie ein Fürst, rauchte teure Zigarren, trank Bohnenkaffee, alles Dinge die es sonst in dieser Zeit gar nicht gab, die er aber von Städtern bekam, die an so etwas heran kamen und die fast täglich Waren aller Art bei dem Bauern gegen Lebensmittel zum Tausch anboten. Die Bäuerin hatte dadurch mehrere Pelzmäntel sich schon eingetauscht, die sie aber nie anzog, sondern nur im Kleiderschrank hortete. Ich hatte früher mal meine Großmutter gefragt ob es allen Vertriebenen so erging, ob sie nicht mehr Solidarität als Deutsche von Deutschen erfahren hätten - die Antwort war: nein! Manchen erging es noch schlechter und gerade 1945 und 1946 starben viele nicht arbeitsfähige Flüchtlinge auf den Dörfern, dies bei Bauern die genug hatten, aber nichts abgaben.

Was hat das nun mit dem Holunder zu tun? Die Vertriebenen hatten ja nichts, es gehörte ihnen kein Land oder kein Garten wo sie etwas anbauen konnten. Alles gehörte den Alteingesessenen, die das Glück hatten geografisch so beheimatet zu sein, daß nicht sie, sondern die Deutschen in den Ostgebieten vertrieben wurden, dies war ihr einziger „Verdienst“, auf den sie, typisch deutsch, stolz waren. An Feldrainen standen aber nun auch Holunderbüsche, die eigentlich keinen Eigentümer hatten, aber auch diese Früchte wurden den Flüchtlingen von den alteingesessenen deutschen Dorfbewohnern nicht gegönnt. Die Bauern hatten den Flüchtlingen erzählt, daß jeder Hollerbusch einer Dorffamilie gehören würde, und nur die dürften ernten, was natürlich Blödsinn war, aber die Alteingesessenen hatten das Sagen und man konnte sich kaum gegen sie auflehnen. Heimlich nahm sich meine Oma nachts doch von so einem Busch und wurde tatsächlich von jungen Dorfburschen dabei überrascht, die ihr die Beeren samt Korb wegnahmen und sie jagten sie von dem kleinen Wäldchen weg.

Soweit zur Solidarität unter den Deutschen, Beispiele für den Mangel daran, ließen sich in Massen fortführen, dies wollen natürlich besonders rechte Deutschtümler nicht hören, die sogar die Verbrechen der Vergangenheit schönreden und die sogar Stolz auf deutsche Wesensart sind, wo sie gar meinen diese Wesensart wäre anderen überlegen.

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