Samstag, 21. Dezember 2013

Postkarten um 1900: Weihnachtskitsch (Teil 2)


Der Großteil der Weihnachtskartenproduktion um 1900 sah so aus wie obige Karten: Der gestrenge Weihnachtsmann beschenkte Kinder, natürlich nur artige, anderen gab er schon mal die Rute - die schwarze autoritäre Pädagogik läßt grüßen! Und natürlich Postkarten mit Engeln neben dem geschmückten Weihnachtsbaum, die erfreuten schon damals die Deutschen.

 
 
Ein sehr weltlicher Weihnachtsmann auf der Karte oben links, mal ganz ohne rote Robe. An einer Stange die Geschenke für das artige Kind: zwei Lebkuchen und einen Hampelmann - für das unartige Kind die obligatorische Rute. Ja und singen mußten die Kinder an Heiligabend, zum Dank wartete ein reicher Gabentisch (Karte rechts oben). Engelsgleich das kleine Mädchen und ein ungeschmückter Weihnachtsbaum auf der Karte links unten. Ein kleines Bäumchen, aber ein Geschenk so ganz des Zeitgeistes um 1900: ein Schaukelpferd (Karte rechts unten). Dieser Zeitgeist hielt sich 50 Jahre lang, denn noch in den 1950er Jahren schenkten Eltern ihren Kindern ein Schaukelpferd zu Weihnachten, wie ich das von meinem Cousin weiß.


Endlich mal eine Karte wo der Weihnachtsmann keine furchteinflößende Autoritätsperson ist (Karte links oben). Zum Gaudi der Knaben fällt der Alte beim Schlittern hin und der Sack mit den Geschenken öffnet sich und  alles fällt heraus. Ich kann mir vorstellen, daß diese Karte bei Kindern damals gut ankam! So ein gut angezogener Knabe auf der Karte rechts oben hat natürlich damals nicht die Kirchenglocken geläutet, diesen Dienst versahen nur arme Menschen als Nebenjob, im Gegensatz zu den in Wohlstand lebenden Pastoren trotz schwerer Arbeit auf der untersten Stufe der damaligen Klassengesellschaft stehend. Links unten ein Echtfoto, natürlich im Atelier aufgenommen: ein hübsches kleines Mädchen, was sich über eine Puppe freuen kann, denn das war damals schon ein Geschenk was nicht billig war. Rechts unten, der bekannte übliche Weihnachtskitsch so wie er im Buche steht.


Die Karte links oben, die mag ich, denn  trotz des Kitsches ist sie nett anzusehen. Wer würde sich nicht am Weihnachtstag über die freundlichen kleinen Boten freuen die an der Tür schellen um einen Liebesbrief (man sehe auf die Herzen auf dem Briefumschlag!) und die ein zwar winziges Blumentöpfchen, aber Glücksklee (!) überbringen? Rechts oben eine ähnliche Szene, aber die Überbringer von Geschenken schon älter und eleganter. Interessant, daß der holländische Kakao-Hersteller Grootes diese Karte herausgab. Weihnachten war ja auch die Zeit wo die meisten Umsätze mit Kakao gemacht wurden. Sehr merkwürdig und eigentlich gar nicht weihnachtlich, die Szene auf der Postkarte links unten, wo ein Kavalier einer Dame einen Blumenstrauß überreicht, eigentlich eher eine Verehrungskarte als eine Weihnachtskarte. Kurios auch die Weihnachtskarte links unten mit einem recht realistisch dargestellten derben Mann aus dem Volke der Marionetten in der Hand hält. Ich vermute, der Künstler stellt da einen Verkäufer auf einem Markt dar, der Marionetten feil bietet. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie erinnert mich dieses Bild an das Andersen-Märchen des Mädchens mit den Zündhölzern. Vielleicht weil auch dieser Verkäufer, ähnlich dem Zündholzmädchen ein ganz armer Mann ist, der seine Marionetten nicht los wird und deshalb zu Weihnachten hungern muß?


Eine für heutige Zeiten makabre Weihnachtskarte ist die links oben von mir eingescannte: Auf dem Lebkuchen, der am mit den deutschen Reichsfarben geschmückten Tannenzweig hängt, ist ein Soldat mit einer Granate in der Hand abgebildet. Die Rückseite der Karte gibt Auskunft, es ist eine Feldpostkarte von einem Soldaten (R .Hartmann) im I. Weltkrieg abgeschickt, Empfänger Fräulein Sidonie Rönnicke, Wallstraße 13 in Jonitz bei Dessau (Anhalt). Ob wohl dieser Soldat den Weltkrieg lebend überstand? Kein Kitsch, die Karte daneben, denn dieses Landschaftsbild vermittelt Ruhe und ist weit ab von Talmi und Flitter. Auch die beiden letzten Karten finde ich nicht kitschig. Ich mag sie, sind sie doch ebenfalls fern von Künstlichkeit und falscher Sentimentalität eines meist heuchlerischen "Brauchtums". Beide Karten sind von der gleichen Absenderin, einmal aus dem Jahre 1903 und einmal aus dem Jahre 1905. Käuferin und Absenderin der Karten war eine Bertha Riebisch aus Hannover, die mit der Auswahl der Karten einen guten Geschmack bewies, und Empfänger war jedes mal Familie Jenicke in Magdeburg, Arndtstraße 51.

Keine Kommentare: